Wir erleben eine ausgeprägte Boom-Phase in der Industrie
hpo Konjunkturkommentar 2. Quartal 2021
In der Industrie erleben wir derzeit eine ausgeprägte Boom-Phase, der die nach wie vor gestörten Lieferketten nicht gewachsen sind. Aufgrund der Covid-19-Verwerfungen, also dem Mix aus Lockdowns, gigantischen Fiskalstimuli und extrem expansiver Geldpolitik verlaufen die Ab- und Aufschwungphasen in der Industrie seit über einem Jahr wie im Zeitraffer, dafür umso ausgeprägter.
Folgende zwei Punkte tragen zum aktuellen Boom in der Industrie bei:
- Aufgrund der Fortschritte bei den Impfprogrammen und der Stimuluspakete insbesondere in den USA erstarkt der Konsum. So schreiben verschiedene Marktbeobachter, dass trotz nach wie vor erhöhter Arbeitslosigkeit in den USA viele Firmen grosse Mühe haben, neue Mitarbeitende zu finden. Die 300 USD, die Arbeitslose in den USA bis September 2021 wöchentlich zusätzlich erhalten, führen zur paradoxen Situation, dass Amerikaner im Niedriglohnsektor in der Arbeitslosigkeit mehr verdienen, als wenn sie arbeiten. Generell lassen die Erfolge bei der Pandemiebekämpfung in den Industrieländern die Konsumentenstimmung steigen (in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern wird die gesundheitliche Notlage aber noch bedeutend länger andauern).

- Sowohl Zulieferbetriebe als auch Hersteller von Investitionsgütern sind vom Bull-Whip-Effekt betroffen. Der Bull-Whip-Effekt ist im Buch unseres Firmengründers Peter Meier «Die Wirtschaft als schwingendes System» (Hanser Verlag, 2019) beschrieben und besagt, dass kleine Veränderungen im Endmarkt zu überproportional grossen Veränderungen bei den Zulieferern führen. Je weiter vorne ein Unternehmen in der Wertschöpfungskette positioniert ist, desto stärker spürt es diesen Effekt. Der Bull-Whip-Effekt kann sowohl in die positive als auch in die negative Richtung wirken. Aktuell hat er einen stark stützenden Effekt.
Das Online-Magazin «The Markt» (NZZ Gruppe) hat recherchiert, dass viele Grossabnehmer von Halbleitern
derzeit die doppelten bis dreifachen der tatsächlich benötigten Mengen an Halbleitern bestellen, damit ihre Bestellungen von den Produzenten höher priorisiert werden. Gleichzeitig überboten sich die Halbleiterhersteller in den letzten Wochen mit Ankündigungen für Investitionen im zweistelligen Milliardenbereich zur Ausdehnung ihrer Produktionskapazitäten. Diese Investitionen sind einerseits politisch gewollt, um die Abhängigkeit insbesondere von asiatischen Herstellern zu reduzieren, andererseits drohen mittelfristig Überkapazitäten. Vorläufig können sich Ausrüster aber auf grosse Aufträge freuen.
Konjunkturzyklische Betrachtungen zeigen nach Abebben der Nachholeffekte eine verhaltene Entwicklung an
Die grosse Stärke des hpo Prognosemodells ist die Abschätzung, wie sich verändernde Konjunkturindikatoren
auf unterschiedlichste Industriezweige auswirken. Dabei berechnen wir mit unserem Algorithmus die Abweichung vom langfristigen Trend, wobei der Konjunktureinfluss in der Regel der wesentliche Einflussfaktor für Schwankungen des Auftragseingangs ist.
Gemäss unseren realwirtschaftlichen Konjunkturzyklusbetrachtungen befinden wir uns nach wie vor sehr früh in der Abschwungphase im Zyklus, der in den Industrieländern (OECD) erst Anfang 2020 seinen Höhepunkt überschritt.
Obwohl derzeit alle Stimmungsindikatoren steil nach oben deuten, zeigen unsere Modellrechnungen nach einer kurzen Phase mit Nachholeffekten weiterhin eine längere Phase mit eher schleppendem Konsum an, sowohl in Nordamerika und Europa als auch in Asien. Der Konsumzyklus ist in unserem Modell der langfristige Taktgeber der Realwirtschaft und hat damit einen grossen Einfluss auf unsere Prognoseberechnungen.
Erhöhte Unsicherheit beim langfristigen Trendwachstum
Der Auftragseingang schwingt um das langfristige Trendwachstum. Dieses ist weitgehend konjunkturunabhängig. Das Trendwachstum wird dabei in unserem Ansatz aus der Vergangenheit für die kommenden Jahre extrapoliert.
In der Umbruchphase, die wir aktuell erleben, gibt es eine Reihe von Faktoren, die auf das Trendwachstum wirken. Dabei ist noch nicht klar, wie stark diese Faktoren wirken werden, denn deren Ursachen liegen zu einem grossen Teil in der politischen Sphäre und sind somit – zumindest mit unserem Prognoseansatz – nicht prognostizierbar.
Verschiedene Faktoren deuten darauf hin, dass sich das Trendwachstum in vielen Industriezweigen zeitgleich verändern könnte. Dies ist sehr aussergewöhnlich. Dabei gibt es sowohl stützende als auch bremsende Einflüsse, die nachfolgend zusammengefasst sind.
Gründe für (vorübergehende) Trendkorrektur nach oben
- Sehr starke Ausweitung der Geldmenge v. a. in den USA und in Europa zur Stärkung der Konjunktur
- Präzedenzlos grosses Stimulusprogramm in den USA der Regierungen Trump und Biden in den vergangenen 12 Monaten
- Bereits entschiedene bzw. geplante Infrastrukturprogramme, wie wir sie seit Generationen nicht mehr gesehen haben, in China (Belt & Road Initiative), Europa (Recovery Plan, 750 Mrd. Euro) und den USA (American Jobs Plan, 2 Bio. Dollar), die gemäss Planung alle in den kommenden Jahren umgesetzt werden sollen
- Bestrebungen der Grossmächte, die gegenseitige Abhängigkeit im Technologiesektor zu reduzieren, mit Handelsbeschränkungen und teils erheblichen Subventionen für einheimische Firmen
- U.S.-Stimulusprogramm wirkt nur auf den Konsum und ist bis September 2021 befristet
- Viele Investitionen, die nun ausgelöst wurden, sind nach dem turbulenten Jahr 2020 einmaligen Nachholeffekten geschuldet
- Die USA und zu einem geringeren Mass auch Europa schöpfen wirtschafts- und geldpolitisch aus dem Vollen, während China bereits wieder auf die Bremse steht
- Weltweit stark gestiegene Verschuldung
hpo passt das Trendwachstum erst an, wenn die Ist-Daten dies anzeigen
hpo verfolgt bei der Anpassung des Trendwachstums einen konservativen Ansatz. Wir passen das Trendwachstum in unseren Modellen erst an, wenn uns die effektiven Ist-Daten einen solchen Änderungsbedarf anzeigen. Dies ist dann der Fall, wenn die Ist-Werte systematisch von den prognostizierten Werten abweichen. Dieser Ansatz hat sich sehr bewährt, da insbesondere in Umbruchphasen die Versuchung gross ist, zu oft und zu stark mit Trendkorrekturen ins Prognosemodell einzugreifen, ohne dadurch die Prognosequalität zu verbessern. hpo beobachtet das Trendwachstum stets sehr genau und nimmt bei Bedarf die notwendigen Anpassungen vor.
Fazit
- Die zyklische Betrachtung der Konjunktur deutet auf einen verhaltenen Ausblick ab ca. der zweiten Jahreshälfte hin. Wir stehen immer noch am Anfang der Abschwungphase des neuen Konsumzyklus und der Bull-Whip-Effekt wird auch wieder in die negative Richtung schwingen.
- Es ist möglich, dass hpo das Trendwachstum derzeit zu konservativ einschätzt. Für eine datenbasiert begründbare Trendkorrektur nach oben ist es jedoch in den meisten Fällen noch zu früh und es ist auch keineswegs sicher, dass diese notwendig wird.